Der Weg zur Freiheit: Die Friedensnobelpreisträgerin aus Birma im Gespräch mit Alan Clements by Aung San Suu Kyi

Der Weg zur Freiheit: Die Friedensnobelpreisträgerin aus Birma im Gespräch mit Alan Clements by Aung San Suu Kyi

Autor:Aung San Suu Kyi [Kyi, Aung San Suu]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2015-05-03T16:00:00+00:00


»WIR KÖNNEN NUR AUF UNS

SELBST VERTRAUEN«

Alan Clements: Wenn Sie sich ein demokratisches Birma vorstellen, was schwebt Ihnen dann im wesentlichen vor?

Aung San Suu Kyi: Wenn wir uns ein demokratisches Birma vorstellen, dann jedenfalls nicht eines, in dem es weitreichende Machtbefugnisse und Privilegien für die NLD gibt. Für uns kommt es darauf an, daß das Volk weniger zu leiden hat. Wir geben uns keinen blauäugigen Illusionen hin. Wir denken bei Demokratie auch weniger an abstrakte Institutionen als vielmehr daran, in welcher Weise sie zum Glück und Wohlergehen der Bevölkerung beitragen kann. Wir wollen ein Land, in dem die Grundsätze des Rechtsstaats gelten. In dem die Menschen so sicher sind, wie es in dieser Welt nur möglich ist. Wo man sie dazu anhält und darin unterstützt, eine Ausbildung zu machen und ihren Horizont zu erweitern. Wo Bedingungen hergestellt werden, die dem körperlichen und geistigen Wohlbefinden der Menschen dienen. Deshalb betone ich auch immer wieder, daß metta im Zentrum unserer Bewegung steht – der Wunsch, anderen Menschen das Leben leichter zu machen.

Clements: In welcher Weise bringen Sie in sich selbst die Demokratie als Vision, als Prozeß und als Bewußtseinszustand miteinander in Einklang? Ich frage Sie das, weil ich immer wieder erlebe, wie die intensive gefühlsmäßige Ausrichtung auf ein Ziel Menschen kompromittiert oder sogar dessen Verwirklichung verhindert.

Suu Kyi: Nun, alle drei Aspekte müssen gleichzeitig anwesend sein. Zuerst und vor allem muß es ein Bewußtseinszustand sein. Sie müssen demokratisch handeln. Und dann müssen Sie den Prozeß in Gang setzen, der zur Verwirklichung Ihrer Vision führt. Man kann die drei Dinge nicht wirklich voneinander trennen. Sie gehen miteinander Hand in Hand. Und das ist sehr buddhistisch, nicht wahr? Arbeit, aktives Tun und Selbstvertrauen. Arbeit und aktives Tun – damit sind wir beim karma: Werke und Taten. Und das Vertrauen in sich selbst ist natürlich ebenfalls ganz buddhistisch. Wir sagen »atta hi attano natho« – »wir können nur auf uns selbst vertrauen«.

Clements: In Ihrer Forderung nach einem Dialog und einer Aussöhnung mit dem SLORC spielt offenbar bis zu einem gewissen Grad Vergebung eine Rolle, und zwar in einem ausgewogenen Verhältnis mit einem gewissen Maß an Gerechtigkeit. Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Eigenschaft, die es Menschen überhaupt ermöglicht, ihren Unterdrückern aufrichtig zu verzeihen?

Suu Kyi: Vergeben bedeutet meiner Meinung nach letztlich die Fähigkeit, einen Täter unabhängig von seiner Tat zu sehen und zu erkennen, daß er trotz der Tat, die er begangen hat, nicht unrettbar verloren ist. Er hat auch bestimmte Seiten an sich, die durchaus annehmbar sind. Wer eine Person vollständig mit ihrer Tat gleichsetzt, ist im Grunde zu einer echten Vergebung nicht imstande. Wenn Sie beispielsweise einen Mörder ausschließlich in Verbindung mit seinem Mord sehen, werden Sie nie dazu fähig sein, ihm zu vergeben. Aber wenn Sie den Mörder objektiv sehen können, als eine Person, die zwar einen Mord begangen hat, aber außerdem noch unter anderen Aspekten zu betrachten ist, dann sind Sie auch in der Lage, ihm zu verzeihen.

Clements: Aber über welche geistigen Fähigkeiten muß man verfügen, um seinen Feind ansehen und die grausamen



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